Berlin Highlight des Monats Dezember

Montag 01. Dezember 2025 —
Mittwoch 31. Dezember 2025

Die spitze Feder kratzt schwarze Tusche in das kleine Papierformat, umreißt die Formen des Motives und der Pinsel platziert gezielt Aquarellfarbe in die Freiflächen. Schon hält die unter rotem Haarschopf hervorlugende Nackte ihren geschrumpften Gatten mit spitzen Fingern in die Höhe. Der kann nur noch seinen Zylinder vor dem Fall retten und sich hängend ergeben.

Dicht gefüllt sind all die 101 im „schwarzen Buch“ versammelten Aquarellentwürfe Bernhard Nowaks (1904-1985), der seit Ende der 1920er Jahre auch unter dem Pseudonym Cavon in Erscheinung tritt, und zeugen vom treffsicheren Strich und von auf die Pointe hinwirkender visueller Darbietung einer Idee, wie es sich für einen geübten Gebrauchsgrafiker und Künstler gehört. Bühnenbilder, Szenen der sieben Todsünden, Illustrationen zu einem Mappenwerk „Grotesken“, Frauenakte, städtische Schauplätze, nicht selten der über allem drohende Tod und fantastische Schreckgestalten liefern ein Schaubild der vermeintlich Goldenen Zwanziger und einen Einblick in Nowaks Weltsicht.

Einem Tagebuch gleich werden Religion, Politik, Erotik und kulturelles Leben mit all ihren Kehrseiten verhandelt. Die Aquarelle fallen in eine Zeit künstlerischer und politischer Umbrüche. Mitte der 1910er Jahre übersiedelte Nowak mit seinen Pflegeeltern nach Berlin, im Gepäck die Erinnerungen an seine verstorbene Mutter und den allzu religiös-konservativen Vater. Wieder in München nahe seiner Geburtsstadt folgte die erste Ausbildung an einer Malschule und 1926 das Studium an der Akademie der Künste. Schon Ende der 1920er Jahre fanden Nowaks Illustrationen in Zeitschriften und Magazinen reichlich Zuspruch, seine klar antifaschistische Haltung führte jedoch zum Ausschluss aus dem Zentralverband bildender Künstler Österreichs, dem er seit seinem Stipendium am Künstlerhaus in Salzburg angehörte. Nowaks Vorahnungen hinsichtlich der todbringenden Politik der Nationalsozialisten mischen sich mit seiner kritischen Sicht auf rigide Glaubenssysteme und seinen Eindrücken von der progressiven Modernisierung Anfang des 20. Jahrhunderts. Der harte Kontrast zwischen tiefschwarzem Grund und heller Figur schärft den zuweilen bissigen Ton der Satire oder spitzt die Ironie aufs Äußerste zu. Da wird „Die Begegnung“ zweier Menschen in eine unausweichliche, diagonale Perspektive bis zum sexuellen Akt gezeichnet, die vom Volk dicht gefüllte Straße mit hoch aufstrebenden Fahnenmasten von der Figur des Todes überragt, „das Lachen“ bleibt im Angesicht des Totenschädels im Halse stecken und der „Gott der Furchtbarkeit“ ist ein fratzenhafter Riese.

So heimlich, wie der Künstler während des Zweiten Weltkrieges Hitlerkarikaturen fertigte, erscheinen die kleinen Entwürfe wie eine intime Seelenschau. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges profilierte sich Nowak in Satirezeitschriften wie dem Eulenspiegel, entschied sich nach Gründung der DDR bewusst für ein Leben in Berlins Osten, stieß erneut an politische Grenzen und wurde schließlich Redakteur und Bildchef der relativ unabhängigen DDR-Monatszeitschrift „Das Magazin“.  Wie einen Zeigefinger setzt er Feder und Pinsel auf das Papier. „Seht hin, so ist die Welt!“ sagen diese Entwürfe. Doch nie ohne Augenzwinkern.

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