Leipzig Rolf Münzner – Grafik und Zeichnungen

Mit Rolf Münzner

Freitag 25. Oktober 2019 —
Samstag 23. November 2019

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Galerie Irrgang,

nachdem Arbeiten von Rolf Münzner zuletzt 2012 in Leipzig gezeigt worden sind, möchten wir Sie hiermit ganz herzlich zu unserer Ausstellungseröffnung am 25. Oktober 2019 um 19.30 Uhr einladen.

Unter dem Titel „Rolf Münzner – Grafik und Zeichnungen“ präsentiert die Galerie Irrgang in einer imposanten Schau Werke der letzten 50 Schaffensjahre des Leipziger Künstlers. Wir zeigen Ihnen großformatige Blätter, darunter auch Münzners eigentümliche Kaffeezeichnungen, nachkolorierte Lithografien und Radierungen sowie selten ausgestellte Collagen.
Neben Illustrationen zu Werken wie dem ‚Simplicissimus‘ oder ‚Marbo‘ zeigen die Bilder das breite thematische Spektrum Münzners: marschierende Figurengruppen und Paare, Landschaften, Stadtmotive und immer wieder seine Leidenschaft des Radfahrens. Es ist der weitgespannte, offene Blick eines genauen Beobachters, dessen malerische Virtuosität den Betrachter in den Bann zieht.

36 Jahre arbeitete Rolf Münzner an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, seit 1989 als Werkstattleiter für Lithografie und prägte als Professor für Grafik durch sein Wirken unzählige Studierende.

Bereits zu Beginn des Jahres wollte der im Februar überraschend verstorbene Galerist Hieronymus Wachter unter dem gleichen Titel Rolf Münzner eine Einzelausstellung widmen. Die Einladungskarten waren gedruckt, die Bilderrahmen bestellt. Zu der Ausstellung kam es nicht. Deshalb freut es uns besonders, dieses Vorhaben nun umsetzen zu können. Nicht zuletzt haben wir gemeinsam mit dem Künstler die Auswahl an Bildern noch um einige sehr interessante und noch nicht gezeigte neue Arbeiten erweitert.

Wir freuen uns auf Ihr Kommen und verbleiben mit herzlichen Grüßen
Ihre Dirk Bolmerg, Victoria Hilsberg und Tobias Wachter

 

 

ROLF MÜNZNERS ANDERE, DIE SELBE WELT

von Manfred Jendryschik

Der 1608 geborene Jon Milton schrieb in einem großen Gedicht über die Zeit, dass diese, nachdem sie unterwegs allerlei Gutes getan haben wird und Böses begraben und sogar die eigene Gier gefressen, sich in Teilen zur Ewigkeit kristallisiert, durch die wir / mit der wir, die himmelwärts gestiegenen Menschen, auf die Erde und die übrig gebliebene Zeit schauen werden. Dieses ziemlich komplizierte und komplexe Geflecht, das auch mit Trostspenderei und Hoffnungverstreuen verbunden ist, fasst Rolf Münzner in ein Bild, das mir deutlich verhaltener scheint als des Dichters Impetus: er zeigt, erstens, ein gänzlich vereinsamtes Wesen, das, möglicherweise, allein auf dieser Welt existiert, existieren muss; ein Wesen, zweitens, das unbestimmt sein lässt, ob sich da ein Homo sapiens konturiert oder eine hölzerne Puppe; ein Wesen, das, drittens, in einem mannshohen Uhrenkasten gefangen (oder beschützt) ist, einem trapezförmigen Kubus, der auch ein Sarg sein könnte; ein Wesen, das, viertens, samt angedeutetem Gehäuse, auf einem Seil Rad zu fahren hat, noch dazu in luftiger Höhe; das, fünftens, eine Erschwerniszulage sich dadurch verdient, dass es mitten in schwarzgefärbter Nacht unterwegs ist; ein Wesen, das sich, sechstens, in einem solchen Abstand über der vermuteten Stadt bewegt, dass unklar bleibt, ob es sich da unten bei dem Skizzenhaften, dem Schemengleichen um einen schlafenden oder einen toten Ort handelt oder gar um eine den Horizont übersteigende planetarische Wucherung.

Allerdings sollte das Bild nicht missverstanden werden als eines, das jeglicher Verheißung abhold ist: es ist eben das einer kaum zu bewältigenden Realität, einer derartigen, die immer noch ein freilich kleines Schlupfloch zu einem Ausweg zulässt, allein durch die vorgeführte Lebendigkeit des an Verzweiflung grenzenden Vorgangs – mehr ist ihm nicht abzutrotzen.

Wenn ich beginne zu zeichnen, von einem Bewusstseinszustand in den anderen übergehend, ergeben sich bei mir während dieses Wechsels, dieses Übergangs die fruchtbarsten Momente. Wo die Helle ins Dunkle wirkt, dort an der Grenze wird es plastisch, da tritt es zutage und drängt sich auf. Dort beginnt mein Spiel, oft wie im Trancezustand. Es entwickelt sich, Gedanken und Bezüge zu meiner Umwelt kommen hinein. Wie von selbst entstehen Dinge, die einen verwundern: so Rolf Münzner über Münzners Welt, diese irr-sinnige, irr-sinnliche abstruse, in sich geschlossene Welt, die die unsere ist (in einem Gespräch mit Henry Schumann). Den Auftritt seiner Figurationen hat Dieter Gleisberg eindrücklich beschrieben, hier zwar eine Münznerischen Hommage an Senefelder, den Vater der Lithographie, anrufend, doch Prinzipielles meinend: Zuerst trägt ein Fackelläufer die zündende Flamme dem schwarzen Grund entgegen, dem Ansturm des Geisterschwarms voran, der sich den mächtigen Stein erobert. Alle tauchen wie im Traum auf, scheinbar ohne Zutun des Künstlers, als wären es nicht seine, sondern Geschöpfe einer unsichtbaren Macht. Und in einem anderen Vortrag heißt es: Zwar empfängt er seine Bildideen aus der Realität. Doch im Schmelztiegel seiner hoffmannesken Imagination verfremden sich die Eindrücke häufig zu alptraumhaften Phantasiegebilden und –gefilden, worin es stürmen und wetterleuchten kann wie in der Walpurgisnacht. Heraufbeschworen ist eine Welt im Umbruch, grotesk und verworren, aber voller Dynamik, die keinen Stillstand duldet …Selbst die Gestalt des Todes kann unheimliche Vitalität erfüllen.

Dieser Sog bildlicher Metaphorik scheint so suggestiv, dass er selbst gestandene Kunst- und Literaturwissenschaftler und ehrbare Familienväter zu mancherlei poetischer Schwelgerei hinreißt. So ist bei Gleisberg von vibrierenden Geweben, die fast zu atmen scheinen die Rede, davon, dass der Kanon vom schwärzesten Dunkel bis zum silbernen Geäder sublimer Ziseluren reicht, von Gestalten, die aus den Tiefen des Kosmos wie aus den Schächten des Unterbewussten kommen und Blocksbergartiges geschieht, als hätte sich der Jahrmarkt der Eitelkeiten diabolisiert. Und wo er in früherer Fassung von der Farbe als Gast bei Münzner spricht, wird später formuliert: Im Unterschied zur Dominanz des Schwarzweiß in der Graphik räumt seine Zeichenkunst der Farbe Gelegenheitsrechte zur Mitsprache ein. Was für eine Wortkonstellation! Edwin Kratzschmer, der seine Betrachtung Wahnwald nennt zum Blatt Quartett III, resümiert zu vier bräunlich gefärbten Gestalten vor schwarzem Grund: Und wie da die braune Rotte aus dem Dunkel tritt, das weiche Pinsel um sie schwärzt, als käme sie aus fernem Zeitverweh, tastend, tänzelnd, doch alles scheint möglich: Schlampenschwof, Narrenballett, geheime Bruderschaft. Altenriege, Unheilsschar, Mörderbrut, verstörte Seelen. Ein Choreograf, Artifex monstrorum, entlässt sie aus der Zeitentiefe…Und Henry Schumann findet zu dem großen Begriff von der Schaukel der Phantasie.

Was bleibt da für einen Lyriker wie Peter Gosse überhaupt noch an Kaskaden-Steigerungs-Möglichkeit übrig? Ja, doch, vielleicht: …das Verwesliche ins Wesentliche verdichtend (sticht, schabt, ritzt Münzner) Linien in die Schwärze des asphaltierten Steins. So haarfein gerät dieses Beinahe-Nichts der Linie, dass diese als des Nichts strahlende Widerlegung begreifbar wird, als Behauptung unseres so schütteren wie unumstößlichen Daseins. Und: … dass selbst dort, wo Misslichstes sich artikuliert findet, das Vollkommene des besagten Kunst-Schönen ergreifend sich herstellt. Die Engführung von Virtuosität und Beseeltheit vermag einen auratischen Glanz hervorzutreiben, der noch das Melancholische umtan einlässt von hoffender Erhabenheit. – Ich brauche sicherlich nicht zu betonen, in welch großartiger Weise hier an Sprache gearbeitet wird und wie versucht wird, in suggestiver Gedankenführung den Widerspruch aus den Dingen herauszuholen und produktiv werden zu lassen; für Gosse ist alles Katastrophische das Unkreative, das dumpfe antihumane Verharrende, das Nicht-Weitertreibende, das Zu-Überwindende. Es könnte freilich sein, wenn man sich nur auf das Dargestellte beruft (und die künstlerische Perfektion beiseite lässt), dass der Grafiker eine Dimension mehr an Resignation, an bildlich werdendem Irr-Sinn, an manifestierter Absurdität in die Welt setzt als der Dichter gelten lassen möchte. Wenn Ernst Bloch einmal sagte, wir hätten keine Zuversicht mehr, uns bliebe nur noch Hoffnung, so ist dies, möglicherweise, für Münzner von einem angestrengten Optimisten gesprochen und sein Terrain ist schon / ist mehr das Heiner Müllers zwischen Barbarei und Untergang.

Im 16.Jahrhundert baten dieWeltmächte Spanien und Portugal den Papst, den Erdball für sie beide aufzuteilen, wodurch übrigens das meridianisch überhängende Brasilien das einzige portugiesisch sprechende Land Südamerikas wurde. In diesem Sinne teilten auch die beiden DDR-Kolportage-Autoren Wolfgang Schreyer und Harry Thürk auf der Weltkarte ihre literarischen Interessengebiete. Und das magische Triumvirat Karl-Georg Hirsch, Rolf Münzner und Baldwin Zettl (alphabetisch geordnet), alle bekennende Schüler des Großmeisters Gerhard Kurt Müller und absolute Nicht-Maler, nahmen sich jeweils einen grafischen Bezirk her, also den Holzstich / Holzschnitt, die Lithographie, im speziellen Fall die Asphalt-Schablithographie, und den Kupferstich – jeder ist auf seinem Gebiet ein Meister von wenigstens europäischem Rang, und durch diese Aufteilung kommt auch keiner dem Anderen beim Ansammeln von Ruhm in die Quere.

Zur besonderen Düsternis seines Weltbildes bei gleichzeitiger höchst vitaler künstlerischer Ausstrahlungskraft kommt bei Münzner als weiteres Merkenswertes sein außerordentlich breites Spektrum an Darstellungsmöglichkeiten hinzu. Niemandem ist es gegeben, so penibel, so pingelig, so versessen minimalste Details in dieser Präzision anzubieten, keiner vermag, als ein Beispiel, so blitzend und blinkend die Fülle von Fahrradspeichen ins Licht der Weltöffentlichkeit zu heben; und daneben, sozusagen währenddessen, erblüht bei den lavierten Zeichnungen das andere Extrem: eine großzügigste Linienführung, ein Auflösen der Konturen bis hin zum organisierten Wirrwarr, als wollte er sich hier, aufatmend, von allen grafischen Zwängen entlasten. (Vielleicht sollten an dieser Stelle zwei seiner Eigenheiten angedeutet werden: einerseits vermag er durch das hauchzarte Aufwalzen von vorwiegend syrischem Asphalt auf den Solnhofer Kalk-Schiefer-Stein eine Schab- und Ritzgrundlage für die sehr kleinteilige Raumbeherrschung und eine Art Negativeffekt zu schaffen, andererseits spricht die Verwendung von Kaffeesud, so die Colorierung von Tuschezeichnungen befördernd, für ein grßzügiges innovatives Experimetier-Engagement.)

Als weiteres Besonderes will ich das Verhältnis zur Anatomie erwähnen; Münzner vermag es, die mitunter haarsträubenden Überdehnungen seiner Figuren wie natürlich sich Ergebendes hinzustellen, wie noch dem einfachen Realismus zugehörig: allerdings hat er die Kühnheit, seinen gotisch verlängerten zweiten Don Quichotte so zu strecken, dass die Beine irgendwo im Nirgendwo enden, eh sie das Gesäß erreichen – so das edle Irre des Hidalgo unterstützend (Gleisberg spricht vom Gewissermaßen-Über-Sich-Hinauswachsen); wiederum hat Münzners hockender Rekrut nicht mehr seinen Arsch in der Hose, sein selbständig gewordener Oberkörper ist ihm hinters Unterbein gerutscht, das Dazwischen fehlt – gewiss eine für die Militärpropaganda wenig geeignete Vorstellung; und ein als Knie personifiziertes Halbbein mit Glotze-Brille in Scheibenhöhe marschiert nächtens dahin – weg vom KriegsSchauPlatz?; eines der erschreckendsten und bildlich vollkommensten Blätter heißt Selbst vor Lacher, das eine naturale Gesichtsmaske zeigt, die eine durch ein Band mit ihr verbundene Person hinter sich herzuziehen scheint, die freilich am Rand, am Abgrund eines im Äther schwebenden Brettes steht (oder geht) – es ist eine Parallele zum eingangs genannten Alptraum zu Miltons Gedicht; und eine Kranke sitzt nicht auf einem Stuhl, sondern auf einem sich vervielfachenden Gestühl, derart das Unnatürliche mehrend, ein Sich-Auflösen der Kontur, ein Auslaufen der Gestalt – ein Zeichen des Abschieds.

Es ist der Kreis, der ein weiteres Besonderes bedeutet und in zweierlei Gestalt sich bei ihm symbolisiert: als Rad und als Karussell, als dessen rotierender Grund, als Scheibe wie als fliegendes Dach. Beiderlei ist vor allem als Ausdruck von Bewegung im Kopf, das Rad als das Rollende, das leibhaftige Vorwärts, die runde Erleichterung beim Tragen einer Last. Und das Karussell ist das pure, um sich drehende, oftmals plebejische Vergnügen.

Um so brutaler und einschneidender, dass bei ihm das Rad der Geschichte nicht existiert, dass für ihn das Kreisförmige ein in sich Geschlossenes anzeigt, die simple Wiederholung, die Ausweglosigkeit. Münzner, der zusammen mit Hirsch viele Jahre auf einem Rennrad die Gegend um Geithain unsicher machte, lässt seine halbgesichtigen Champions auf Bergpisten in einen imaginären Himmel sich quälen, verkümmern oder naiv freudig ins Nichts radeln, oft sind die Rahmen zu solchen Gestellen verbunden, dass sie nur zum rasenden Stillstand taugen, als ein Beispiel nicht vom Fleck kommender Erstarrung.

Ein weiteres Besonderes ist das wortwörtliche Heben der Szenerie aus der alltäglichen Ebene; schon mit den wundersamen surrealen Blättern zu Bulgakows Meister und Margerita (die die Kritiker animierten, den Dreiunddreißigjährigen als einen Bedeutenden des Jahrhunderts zu begrüßen) zeigten eine quasi-kosmische Perspektive, eine Weltenferne, manchmal ist es schwer, noch etwas von der planetarischen Oberfläche weit unterhalb des Geschehens zu erkennen. Diese Möglichkeit nimmt sich der Künstler immer wieder, etwa bei Arbeiten zu Jean Paul oder wenn er die alte Singer-Nähmaschine oder eine Druckerpresse übervogelgleich durch die Nacht schwebend reisen lässt (radeln und schweben sind bei ihm die üblichen Fortbewegungsarten, die einzig Gehenden sind Blinde). So löst er das ihm Wichtige aus den Banden der Wirklichkeit, aus Zeit und Raum und schafft eine Welt, die als die Münznerische in unserem Gedächtnis siedeln will.

Ein weiteres Besonderes ist die Behandlung der Fläche (worum es auch und bedeutsam in einem längeren Gespräch mit dem Galeristen Hieronymus Wachter ging). Da in dieser Ausstellung ausnehmend viele meisterliche Zeichnungen vertreten sind, können Sie die Vielfalt des ihm zur Verfügung Stehenden, des in Jahrzehnten Erarbeiteten, seine Möglichkeiten sehen, also wie mit speziellen Strukturen Gemütslagen, der Grad der Auseinandersetzungen, letztlich die Art der Szene charakterisiert werden können. Dabei spielen nicht nur die Strenge der Linie oder ihr gekräuseltes Papperlapapp als Gegensatz eine Rolle, sondern die Temperatur, auch einzelner Details wird durch (dezente) Farbnuancen bestimmt. Und es ist faszinierend zu sehen, wie er mitunter bis zu drei kontrastierende Mentalbereiche artifiziell zusammen bringt, fügt, manchmal zusammenpresst. Oder wie er über einen ziselierten Druck widerströmig Tusche fließen lässt. oder, sehr selten, wie ein Karussell aus aller Color-Zurückhaltung ins Grelle abdriftet. Da hat ihn sich der Satan geschnappt, er ihn.

Zum Schluss will ich eine Arbeit zum Simplicius Simplicissimus anrufen, Das Kind und die Macht; da hat ein jugendlicher Mensch sich in allerhöchster Not, in größter Verstörtheit aus der furchtbaren Realität herausgerissen (das eine Bein noch versteckt im Misthaufen der Geschichte), hat, auch wenn das seine Vernichtung bedeuten kann, die Arme ausgebreitet zu einem Kreuz, sich bleich vor einen dunklen Sog-Abgrund gestellt: es ist ein Zeichen von So-Nicht-Weiter, den Schmerz des Kriegs unbedingt zu enden – und darüber die Horde apokalyptischer Reiter, ihre Dickschädel sind mehr zu ahnen als zu sehen, ist in erstaunte Zurückhaltung gefallen.

Dieses Blatt ist in allem, vom Motiv bis zur Raumordnung, unwirklich, und um so realistischer, dringlicher erscheint sie uns. Genau das ist die Kunst Rolf Münzners.