Leipzig ZSCHAU #3 : Matten Vogel – exTag und Kratzer
Mit Matten Vogel
Matten Vogel hat ein Konzept.
Hat er?
„Zufall ist ein Wort ohne Sinn; nichts kann ohne Ursache existieren.“, sagte einst Voltaire.
Wirklich?
Matten Vogels malerische Überlegungen gründen zwischen Abfallprodukt, Fehler und Korrektur. Er akzeptiert die Unvollkommenheit dessen, was man Zufall nennen könnte, und bricht die Beschränktheit der strengen Prämisse Konkreter Kunst radikal.
Der Titel der Ausstellung „exTag und Kratzer“ ist Programm und entspricht Matten Vogels unverschnörkeltem Pragmatismus – denn dies sind die Titel zweier Werkgruppen der letzten beiden Jahre aus seinem mannigfaltigen Programm, die ab dem 24.03.2023 in der Galerie Irrgang zu sehen sein werden.
Im Projekt „exTag“ setzt sich der Künstler mit Aspekten von Vandalismus und Kreativität im urbanen Raum auseinander. Er wird unter anderem die Fassade unserer Galerie neu gestalten. Zusätzlich zeigen wir Vorstudien und Ergänzungen zu dem Projekt, dessen Ausgangspunkt auf den Hausfassaden Kleinzschochers vorgefundene illegale Graffiti-Tags sind, die Vogel in Absprache mit den Hausbesitzern in legale Farbflächen umarbeiten will. Dabei konterkariert er die übliche Herangehensweise des Entfernens von Graffiti, bei der üblicherweise der Tag mit der ursprünglichen Fassadenfarbe übertüncht wird. Er hingegen plant, die getaggten Flächen im Farbton der verwendeten Sprayfarben zu übermalen. Die grobe Umrissform und die Farbigkeit der ehemaligen Tags bleiben – durch Matten Vogel reduziert und in „reizende“ Farbflächen verwandelt – erhalten.
Auch mit der Kratzer-Serie verdreht Vogel ersten Eindruck und Entstehungsgeschichte.
Was ist ein Kratzer? Ein Makel? Eine zerstörerische Geste? Unachtsamkeit? Ein verwundetes Bild?
Die Spuren, die wir sehen, sind nicht das Ergebnis scharfer Gegenstände auf der Ölfarben-Oberfläche, nicht Emotion der spontanen, gar wütenden Geste, sondern Zeichnungen, die Matten Vogel mit an den Fingern fixierten Bleistiften auf die Leinwand bringt. Danach bemalt der Künstler die Leinwand mit Ölfarbe, die die Spuren dieser Zeichnung frei lassen, und so die Illusion von Beschädigungen der Farbschicht erzeugen. Er nennt es Risikomalerei. „Vorher und Nachher, die wesentlichen Determinanten des Zeitlichen, werden listig vertauscht und das Gegenteil dessen, was wir annehmen, ist hier zu sehen. Nicht die schnelle Kratzbewegung, sondern das überlegte und präzise Bemalen der Oberfläche.“(1)
Vogels kompromisslose Bereitschaft zum produktiven Scheitern schöpft aus dem Vollen, lässt aus, reduziert, baut auf und erzeugt eine Art dampflokomotivenartige Kolbenbewegung im Kopf, wenn man versucht über seine Werke nachzudenken. Ein Perpetuum Mobile, Rückstoß, Unwucht – und irgendwo dazwischen: Lachen.
Matten Vogel, geboren 1965 in Hannover, studierte 1988–1994 an der UdK Berlin und war Meisterschüler von Wolfgang Petrick. Er lebt und arbeitet als freischaffender Künstler in Berlin.
(1) aus dem Text: Stefan Becker, Malerei, die an der Zeit ist
Text: Hannah Becker