Leipzig Kein Scherz!
Mit Wasja Götze
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Galerie Irrgang,
hiermit möchten wir Sie und Ihre Begleitung ganz herzlich zu unserer neuen Ausstellung in die Leipziger Räumlichkeiten einladen. Unter dem Titel „Kein Scherz!“ präsentieren wir Ihnen Arbeiten des Künstlers Wasja Götze.
Wir freuen uns auf Ihr Kommen und verbleiben mit herzlichen Grüßen und guten Wünschen
Ihre Hannah Becker, Alfons Nagel, Leonhard und Tobias Wachter
Das Bedürfnis nach Farbe
Es ist Anfang März 2022, Russlands Krieg gegen die Ukraine geht in die zweite Woche. Ich telefoniere abends um neun – wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es gerne später sein können – mit dem Maler Wasja Götze. Er ist 1941 in Altmügeln bei Oschatz in Sachsen geboren. Ich kann nur ahnen, was die aktuellen Medienberichte machen mit Einem, der selbst, wenn auch noch jung, den Krieg und die darauffolgenden Entbehrungen erlebt hat. Der Krieg macht uns beide sprachlos. Ich frage ihn nach der Verarbeitung von Zeitgeschehen in seiner Kunst.
Denn das ist neben der farbexplosiven Lautstärke eines der vordergründigen Merkmale der Gemälde Wasja Götzes: Seine verschachtelten Bilder strotzen nur so von Zeitbezügen. Die Motive kämen unterschiedlich zu ihm, erzählt er, manchmal seien sie regelrecht prophetisch – so wie die Spritze, die sich in einem Werk von vor gut drei Jahren ins Bildgeschehen gemischt habe. Manchmal seien die Motive aber auch klar aus der Zeit heraus geboren. „Der Krieg kommt oft vor und auf jedem dritten Bild ist ‚die Mauer‘ drauf.“
Götzes Widerstand gegen staatliche Reglementierungen und sozialistische Engstirnigkeit ist in Halle und Umgebung so originell wie legendär. Das Unterzeichnen der Protestnote gegen die Ausbürgerung Biermanns 1976 kann zu den augenscheinlichsten Indizien für sein regimekritisches Verhalten gezählt werden. Darüber hinaus von Götze initiierte Aktionen wie die ‚Petersbergrallye‘, eine künstlerisch inspirierte Fahrradrallye, die über Jahrzehnte einen subversiven Ausdruck gegen die Versuche staatlichen Vereinheitlichung darstellte, seine auf Touren durch Sachsen und Thüringen vorgetragenen Lieder, sein nicht zu stoppendes Mundwerk, das Kolleg_innen stets ermuntert hat, den Reformdruck zu stärken[1] und nicht zuletzt seine Bilder führten zur ständigen Beobachtung durch die Stasi, zur Androhung der Ausbürgerung und zu Ausstellungsverboten. In den 80er Jahren zog er sich zunehmend ins Private zurück, ließ aber nie Zweifel daran aufkommen, dass er vom Untergang des DDR Regimes überzeugt war.
Götze studierte ab 1962 an der Burg Giebichenstein in Halle Architektur und Gebrauchsgrafik (er selbst sagt, er habe dort 5 Jahre Didaktik studiert). Seine bis dahin eher hobbyartig betriebene Malerei kleiner kubistischer Bilder endete jäh, als er die ersten Pop Art Gemälde zu Gesicht bekam. „Mein Hauptantrieb ist das Bedürfnis nach Farbe, daher hat mich die Pop Art angesprungen.“ Dabei waren es nicht primär internationale Kunstschaffende, die Götze imponierten. Die „Kinnlade sei ihm runtergefallen“, als er zum ersten Mal Bilder des ostdeutschen Malers Willy Wolff gesehen habe. Auch den von ihm hoch verehrten Hans Ticha möchte er unbedingt vor sich genannt wissen, wenn man die Pioniere der ostdeutschen Pop Art Künstler_innen aufzählt.
Sein erstes Gemälde im Stil der Pop Art war „Hände weg vom Dompfaff“, das 1970 entstanden war. Allerdings hatten die Bilder, so Götze, mit Pop Art nur mehr gemein, dass sie der Farbe huldigen – dies sei auch das treibende Element gewesen, Maler zu werden. Licht und Lichtstimmungen hätten ihn noch nie interessiert – er sei da „im positiven wie im negativen Sinne schön deutsch: alles läuft über die Birne.“
Das Malen eines Bildes, bei dem er ausschließlich Mischfarben, mit Vorliebe gebrochene Farben verwendet, dauert Monate, manchmal Jahre. Auf eine 1:1 Vorzeichnung folge die Übertragung auf eine Hartfaserplatte, seltener auf Leinwand. „Dann gibt es eine Grundmalung und anschließend wird es handwerklich ausgeführt“, berichtet Wasja Götze von seinem Treiben in seinem Hallenser Dachbodenatelier.
„Das Viele“ auf seinen Bildern habe vielleicht mit Hieronymus Bosch zu tun, vermutet er. Dies sei auch schon von anderen bemerkt worden. Neulich habe er ein Bild, mit dem er zufrieden war nicht wie üblich mit WG und einem Stern signiert, sondern mit WHG und Stern – das H für Hieronymus (er gluckst, als er es mir erzählt und zwinkert).
Manchmal schäme er sich für seine Bilder. Es kommt aber auch vor, dass er Jahre später eines seiner Werke hinter dem Schrank hervorhole und es dann „doch gar nicht so beschissen“ findet. Kunst habe nichts mit Objektivität zu tun. Was er malt und wie er seine Bilder empfindet habe mit seiner „Seelenlage“ und Tagesform zu tun. „Ich bin selten mit mir und meiner Kunst im Reinen.“
Vielleicht ist es eben diese Zerrissenheit, welche diese faszinierende Dynamik von Anziehung und Abstoßung in seinen Bildern erzeugt, die durch das Flirren der Farben noch verstärkt, im wahrsten Sinne des Wortes „untermalt“ wird.
„Meine oberste Devise: der Betrachter darf sich nicht langweilen, ich will ihn nicht in Ruhe lassen!“
(Text: Hannah Becker)
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[1] Wolfgang Hütt: Eulenspiegeleien zwischen Burg Giebichenstein und Petersberg, in: Wolfgang Hütt: Gefördert. Überwacht. Reformdruck bildender Künstler der DDR. Das Beispiel Halle, Stekovics, Wettin, 2004, S. 159–167.